Neues aus Gesetzgebung und Rechtsprechung: Versicherungsrechts-Newsletter von DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen

DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Versicherungsrecht, berichtet über die aktuelle Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Versicherungsrecht (u.a. Krankenversicherung, Schadenversicherung, Lebensversicherung, Rechtschutzversicherung) (Stand April 2024):

A) Gesetzgebung / Vorhaben:

Referentenentwurf: Justizministerium will Amtsgerichtszuständigkeit auf 8.000 Euro erhöhen.

https://www.bmj.de/Shared

Docs/Dovniloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Aenderung_Zustaendigkeitsstreitwert.pdf?blob=publi cationFile&v=1

Buschmann stellt Referentenentwurf vor, der den Zuständigkeitswert der Amtsgerichte auf 8.000 Euro erhöhen will. Das Bundesjustizministerium (BMJ) geht davon aus, dass mit der Anhebung, die der Geldentwicklung entspreche, die Zahl der erstinstanzlich vor den Amtsgerichten zu verhandelnden zivilrechtlichen Verfahren wieder steigen werde. Nach dem Entwurf sollen zudem weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte geschaffen werden.

B) Prozessrecht:

1. Gehörsverstoß, § 544 Abs. 6 ZPO; Art. 103 Abs. 1 GG

Hat eine Partei nach der erstinstanzlichen Vernehmung eines Zeugen unter anderem geltend gemacht, die Aussage sei von groben Widersprüchen durchzogen, und hat das Berufungsgericht dennoch zur Begründung seines Verzichts auf eine eigene Beweisaufnahme ausgeführt, Anhaltspunkte für mangelnde Glaubhaftigkeit der Aussagen und Glaubwürdigkeit der Zeugen seien weder aus dem Protokoll erkennbar noch dort dokumentiert, noch von den Parteien aufgeworfen, so lassen sich diese Ausführungen nur dadurch erklären, dass das Berufungsgericht die Kritik an der Zeugenaussage im Parteivortrag nicht zur Kenntnis genommen hat.

BGH, Beschluss vom 28.03.2023 – VI ZR 368/21– (nicht rechtskräftig)

2. Sofortiges Anerkenntnis, § 93 ZPO

Für Klageeinreichung während Prüffrist des VR besteht keine Klageveranlassung

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.04.2022 – 9 W 23/22 –

Bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall ist ein Zeitraum von vier bis sechs Wochen für die Prüfung des Haftpflichtversicherers als angemessen anzusehen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.05.2019 – 4 W 4/19 = NJW-RR 2019, 922).

C) Krankenversicherung

1. Materielle Rechtmäßigkeit der Prämienanpassung, §§ 203 VVG, 155 VAG

a. Die Fehlerhaftigkeit einer an § 155 Abs. 2 VAG zu messenden Limitierungsmaßnahme lässt die materielle Wirksamkeit einer Prämienanpassung, die im Übrigen auf einer den Anforderungen des § 155 Abs. 1 VAG entsprechenden Nachkalkulation beruht, unberührt.

Die Fehlerhaftigkeit der Limitierungsentscheidung führt lediglich dann zu einer Anpassung der vom Versicherungsnehmer geschuldeten Prämie, soweit dieser durch die fehlerhafte Limitierungsentscheidung konkret beeinträchtigt ist.

b. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast dafür, dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

BGH, Urteil vom 20.03.2024 – IV ZR 68/22  –

Eine Prämienanpassung vollzieht sich in zwei Schritten. Die Prämie wird zunächst anhand der geänderten Rechnungsgrundlagen neu kalkuliert; in einem Gerichtsverfahren hat der Versicherer zu beweisen, dass diese Nachkalkulation den Anforderungen des § 155 Abs. 1 VAG entspricht. In einem zweiten Schritt kann die Beitragserhöhung gemäß § 155 Abs. 2 VAG durch die Verwendung von Mitteln aus den Rückstellungen für Beitragserstattungen limitiert werden.

Bei einer gerichtlichen Kontrolle der Limitierungsmaßnahmen sind lediglich besonders schwerwiegende Verstöße gegen die schutzwürdigen Interessen der Versicherten geeignet, einen materiellen Verstoß gegen den sich aus § 155 Abs. 2 VAG ergebenden Prüfungsmaßstab für die Limitierungsmaßnahmen zu begründen. Eine Motiv- oder Begründungskontrolle der vom Versicherer getroffenen Limitierungsentscheidung findet nicht statt. Die Fehlerhaftigkeit einer Limitierungsmaßnahme lässt die materielle Wirksamkeit einer Prämienanpassung, die im Übrigen auf einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Nachkalkulation beruht, unberührt. Diese führt lediglich dazu, dass dem einzelnen Versicherungsnehmer, soweit er dadurch konkret beeinträchtigt ist, ein individueller Anspruch auf (weitere) Limitierung, d.h. auf dauerhafte Absenkung seiner Prämie zustehen kann.

Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast dafür, dass die Limitierungsentscheidung den Anforderungen des § 155 Abs. 2 VAG nicht entspricht und er hierdurch in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer die internen Verhältnisse des Versicherers nicht kennen kann, führt allerdings zu einer sekundären Darlegungslast des Versicherers. Er hat zu den Parametern, die der Limitierungsentscheidung zugrunde liegen, näher vorzutragen. Diese Darlegungslast beinhaltet jedoch nicht die Vorlage eines umfassenden, sich auf alle parallel mit Limitierungsmitteln bedachten Tarife erstreckenden Limitierungskonzepts.

2. Wechsel in den Basistarif, §§ 193 Abs. 5, 203 Abs. 1 VVG, 154 VAG

Der Krankenversicherer darf die Umwandlung eines bestehenden Versicherungstarifs in den Basistarif von einer Gesundheitsprüfung abhängig machen.

OLG Hamburg, Beschluss vom 23.10.2023 – 9 W 40/23

Gem. § 203 Abs. 1 S. 3 VVG ist im Basistarif eine Risikoprüfung zulässig, soweit sie für Zwecke des Risikoausgleichs nach § 154 VAG oder für spätere Tarifwechsel erforderlich ist. Dem steht nicht entgegen, dass durch fehlende Kenntnis von Vorerkrankungen verursachte Kosten als Mehraufwendungen aufgrund der Prämienbegrenzung nach § 152 Abs. 3 und 4 VAG umlagefähig sind.

D) Schadenversicherung

1. Werkstattrisiko bei KFZ-Reparaturen, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB

a. Auch bei unbezahlter Werkstattrechnung kann sich der Geschädigte auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen und in dessen Grenzen Zahlung von Reparaturkosten, Zug um Zug gegen Abtretung seiner diesbezüglichen Ansprüche gegen die Werkstatt an den Schädiger, verlangen, allerdings nicht an sich selbst, sondern an die Werkstatt (wie Senatsurteil vom heutigen Tag - VI ZR 253/22, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

b. Der aufgrund eines Verkehrsunfalls Geschädigte darf bei der Beauftragung einer Fachwerkstatt mit der Reparatur des Unfallfahrzeugs grundsätzlich da rauf vertrauen, dass diese keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt und nur die objektiv erforderlichen Reparaturmaßnahmen durchführt. Er ist daher aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht gehalten, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt zunächst ein Sachverständigengutachten einzuholen und den Reparaturauftrag auf dessen Grundlage zu erteilen.

BGH, Urteil vom 16. Januar 2024 - VI ZR 51/23 – (vgl. auch Senatsurteile v. selben Tag, VI ZR 38/22, VI ZR 239/22, VI ZR 253/22 und VI ZR 266/22)

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist berechtigt, sein beschädigtes Fahrzeug zur Reparatur in eine Werkstatt zu geben und vom Unfallverursacher den hierfür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen (§ 249 Abs. 2 BGB). Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat hat über fünf Revisionen entschieden, in denen sich in unterschiedlichen Konstellationen die Frage stellte, wer das Risiko trägt, wenn der Unfallverursacher einwendet, die von der Werkstatt gestellte Rechnung sei überhöht (sog. Werkstattrisiko).

Auch wenn der Geschädigte ein Sachverständigengutachten einholt und die Auswahl des Sachverständigen der Werkstatt überlässt ("Schadensservice aus einer Hand"), führt allein dies nicht zur Annahme eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens.

2. Hausratversicherung

Wohnmobil als Ersatzunterbringung, Abschn. A § 8 Nr. 1 c) VHB 2014

OLG Köln, Urt. vom 05.12.2023 – 9 U 46/23 - 

Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung i.S.v. Abschn. A § 8 Nr. 1 c) VHB 2014 können auch die Aufwendungen für die Anmietung eines Wohnmobils sein.

3. KFZ-Versicherung, § 11 Nr. 3 AFB 87

Unterversicherungseinwand des Versicherers bei Totalschaden

OLG Köln, Hinweis vom 10.11.2023 – 9 U 178/23 -           r+s 1/2024, S. 36       

Bei einem Totalschaden führt die Regelung der Unterversicherung un § 11 Nr. 3 AFB 87 infolge der dort vereinbarten Proportionalitätsregel zu dem rechnerisch zwingenden Ergebnis, dass die Versicherungssumme vom Versicherer zu zahlen ist.

E) Lebensversicherung

Widerspruch nach § 5a VVG a.F. nach geringfügigem Belehrungsfehler („Schriftform statt Textform“) kann treuwidrig sein

BGH, Urteil vom 15.02.2023 – IV ZR 353/21 –

Die Ausübung des Widerspruchsrechts kann gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar.

Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU: C:2019:1123 = NJW 2020, 667).

F) Rechtsschutzversicherung

Deckungsanspruch bei Dieselklage, § 28 ARB 94 v. 01.01.2009, §§ 826, 31 BGB

OLG Hamm, Urteil vom 20.09.2023 – 20 U 240/22 – (Revision anhängig)

Der Versicherungsnehmer hat gegen den Rechtsschutzversicherer einen Anspruch auf Deckungsschutz für eine Dieselklage (Differenzschaden wegen Thermofenster). Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Deckungsablehnung durch den Versicherer infolge der damaligen tatsächlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine solche Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte.

Das OLG Hamm schließt sich der Entscheidung des BGH vom 26. Juni 2023 (Az. VIa ZR 335/21) an, die im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) erging. Der EuGH hatte aus dem Gesamtzusammenhang des unionsrechtlichen Regelungsgefüges gefolgert, dass der Käufer beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten könne, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 eingehalten sei. Werde er in diesem Vertrauen enttäuscht, könne er von dem Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen.

Da der Schadensersatzanspruch nach dem EuGH nicht den Anforderungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung i.S.v. § 826 BGB entsprechen muss, kann es nach der Entscheidung des OLG Hamm für die Deckungsablehnung nicht auf die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche BGH-Rechtsprechung ankommen, die maßgeblich an den Voraussetzungen des § 826 BGB orientiert war.

Zugunsten des Versicherungsnehmers müsse, so das OLG Hamm, die neuere Entwicklung der Rechtsprechung bei der Prüfung der Erfolgsaussichten berücksichtigt werden. Gegenteiliges lasse sich § 18 ARB nicht entnehmen. Eine derartige Einschränkung des Leistungsversprechens des Rechtsschutzversicherers sei laut BGH auch unbillig. Dem Versicherungsnehmer würde Versicherungsschutz versagt, obwohl in der Sache hinreichende Erfolgsaussichten bestehen und nach der objektiv bestehenden – wenn auch erst später höchstrichterlich als solche erkannten – Rechtslage auch bereits zum Zeitpunkt der Deckungsablehnung bestanden haben.

Das OLG Hamm hat die Revision zugelassen.

Zur Frage des Rechtsschutzes in Dieselklagen sind verschiedene Verfahren beim BGH anhängig, die derzeit aber noch nicht terminiert sind (u.a. IV ZR 11/23, 24/23, 25/23).



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