Neues aus der Rechtsprechung: Versicherungsrechts-Newsletter von DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen

DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Versicherungsrecht, berichtet über die aktuelle Rechtsprechung zum Versicherungsrecht (u.a. Sachversicherungsrecht, Recht der privaten Personenversicherung, Unfallversicherungsrecht) (Stand Juli 2023):

A) Prozessrecht:

I. Notfrist, § 130 a ZPO

BGH, Beschlüsse vom 30.11.2022 – IV ZB 10/22 – und vom 08. März 2022 – VI ZB 25/20 –

Gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ob das elektronische Dokument von der vorgenannten Einrichtung aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet wird oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist demgegenüber unerheblich. Hierbei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments nicht von Bedeutung sind.

II. Vortrag

BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – IV ZR 501/21 –

Über die Frage, ob und in welcher Höhe bei einem Brand in der Wohngebäudeversicherung ersatzfähige Schäden entstanden sind, hat der Tatrichter nach § 287 ZPO zu befinden; diese Gesetzesvorschrift erleichtert dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast. Die Klage darf nicht wegen eines lückenhaften Vortrags zur Schadenshöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung vorhanden sind; eine Schätzung darf erst dann unterlassen werden, wenn sie mangels jeglicher Anhaltpunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre.

B) Recht der Schadenversicherung

I. Herbeiführung des Versicherungsfalls, § 81 VVG

OLG Bremen, Urteil vom 12.5.2022 –3 U 37/21  –

Der Versicherer ist berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer im guten Glauben, den Elektroherd ausgeschaltet zu haben, das Haus verlässt, tatsächlich aber beim Abschalten ein falsches Kochfeld bedient hat.

In einem solchen Fall liegt grobe Fahrlässigkeit vor, weil eine Vergewisserung, ob das richtige Kochfeld ausgeschaltet und auch kein anderes in Betrieb ist, unterblieben ist.

II. Sachversicherungsrecht

1. Wohngebäudeversicherung

BGH, Urt. vom 9.11.2022 - IV ZR 62/22

Der in den Klauseln zu einer Wohngebäudeversicherung (hier: Klauseln zu den WGB F 01/08 K.7) als „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- und Erdmassen“ definierte Begriff „Erdrutsch“ erfasst auch Schäden am Versicherungsobjekt, die durch allmähliche, nicht augenscheinlich naturbedingte Bewegungen von Gesteins- oder Erdmassen verursacht werden.

BGH, Urt. vom 16.9.2022 - IV ZR 69/21 (2)

Tritt in einer WEG-Anlage aufgrund einer defekten Wasserleitung ein Schaden ein, ist ein von der WEG-Gemeinschaft in der verbundenen Gebäudeversicherung vereinbarter Selbstbehalt, durch den der Versicherer einen bestimmten Teil des ansonsten versicherten Interesses nicht zu ersetzen hat, wie die Versicherungsprämie nach dem gesetzlichen bzw. vereinbarten Verteilungsschlüssel zu verteilen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Leitungswasserschaden an dem Gemeinschaftseigentum oder – ausschließlich oder teilweise – an dem Sondereigentum entstanden ist.

BGH, Urt. vom 20.10.2021 - IV ZR 236/20

Der Wohngebäudeversicherer hat nicht für Nässeschäden aufgrund einer undichten Fuge zwischen Duschwanne und einer angrenzenden Wand einzustehen (Teil A § 3 Nr. 3 VGB 2008).

2. Recht der KFZ-Versicherung

BGH, Urt. vom 9.9.2020 - VIII ZR 389/18

Bei vorzeitiger Beendigung eines KFZ-Leasingvertrags wegen Diebstahls des Fahrzeugs steht die den Wiederbeschaffungs- und den Ablösewert übersteigende Neuwertspitze einer Versicherungsleistung aus einer vom Leasingnehmer auf Neupreisbasis abgeschlossenen Vollkaskoversicherung nicht dem Leasinggeber, sondern dem Leasingnehmer zu.

OLG Brandenburg, Urt. vom 26.1.2022 – 11 U 174/17

Macht der VN Ansprüche auf Entschädigungsleistung geltend, muss er den Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls darlegen und erforderlichenfalls beweisen. Dazu gehört auch die Widerlegung des Einwands des Versicherers, es werde ein nicht behobener Altschaden (erneut) geltend gemacht.

Verlangt der Versicherer demgegenüber eine Entschädigungsleistung wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder aufgrund einer unerlaubten Handlung zurück, trägt er die Darlegungs- und Beweislast. Auf Beweiserleichterungen kann er sich in diesem Zusammenhang regelmäßig nicht berufen.

OLG Köln, Beschluss vom 8.7.2020 – 9 U 111/20

Die Weigerung des VN, nach einem Unfall mit unklarem Unfallhergang die Fahrzeugdaten auslesen zu lassen, stellt eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten dar.

LG München I, Beschluss vom 27.7.2020 – 23 S 4598/20

Wird das Verschließen eines Kraftfahrzeugs durch elektronische Signale verhindert, liegt beim nachfolgenden Öffnen des Fahrzeugs durch einen Dieb kein versicherter Einbruchsdiebstahl vor (r+s 2021, 517)

3. Recht der privaten Personenversicherung

Entreicherungseinwand bei Widerruf einer fondsgebundenen Lebensversicherung

BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – IV ZR 300/20 –

Aus einem Hinweisbeschluss ergibt sich, dass der Versicherungssenat auch nach jüngeren Entscheidungen des EuGH an der Grundsatzentscheidung vom 21. März 2018 ( IV ZR 353/16 ) festhält, wonach der Versicherer nach Widerruf einer fondsgebundenen Lebensversicherung sich wegen der erlittenen Fondsverluste auf den Einwand der Entreicherung aus § 818 Abs. 3 BGB berufen kann. Dem europarechtlichen Effektivitätsge­bot widerspricht es nicht, wenn der Versicherungsnehmer auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages widersprechen kann, aber Fondsverluste tragen muss.

4. Unfallversicherungsrecht

Verbesserung des Gesundheitszustands nach Neubemessungsverlangen des Versicherungsnehmers

BGH, Urteil vom 2.11.2022 – IV ZR 257/21 –

Ergibt sich aufgrund eines allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung initiierten Neubemessungsverlangens eine Verbesserung des Gesundheitszustands gegenüber dem der Erstbemessung zugrunde gelegten Zustand, ist der Versicherer nicht deshalb an einer (teilweisen) Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert, weil er sich bei der Erstbemessung nicht die Neubemessung vorbehalten hatte. Denn Rechtsgrund der Invaliditätsleistung ist nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkenne, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag.



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