Neuer Arbeitsrecht-Newsletter von DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen

Neues aus Gesetzgebung und Rechtsprechung: DANCKELMANN UND KERST-Partner Peter Kiesgen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, gibt einen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht aus den Bereichen Gesetzgebung/Vorhaben und Rechtsprechung einschließlich Europarecht und Prozessrecht. 

A) Gesetzgebung / Vorhaben:

- Kabinett beschließt neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Pressemitteilung des BMAS vom 29.3.2023

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzesentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen. Schon heute eröffnet ein in Deutschland erworbener oder anerkannter Abschluss die Möglichkeit, als Fachkraft nach Deutschland zu kommen. Eine Neuerung ist, dass wer einen solchen Abschluss hat, künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben kann. Außerdem wird Arbeitskräften mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung und einem im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss die Einwanderung ermöglicht. In diesen Fällen ist jedoch eine Gehaltsschwelle einzuhalten oder der Arbeitgeber muss tarifgebunden sein.

- Stärkerer Schutz von Menschenrechten und Umwelt in globalen Lieferketten

Pressemitteilung des BMAS vom 29.12.2022

Am 1. Januar 2023 trat das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft, das weltweit zum ersten Mal unternehmerische Sorgfaltspflichten für die Achtung von Menschenrechten und den Schutz von Umweltbelangen umfassend gesetzlich regelt. Unternehmen sind verpflichtet, ein wirksames Risikomanagement einzurichten. Das Gesetz regelt außerdem, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und entlang der Lieferketten notwendig sind. Darüber hinaus muss ein Beschwerdeverfahren errichtet werden.

B) Rechtsprechung

1. Allgemein

- Entgeltgleichheit von Männern und Frauen auch bei einzelvertraglicher Verhandlung über Entgelthöhe

BAG, Urt. v. 16.2.2023 - 8 AZR 450/21, Pressemitteilung vom 16.2.2023

Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der AG männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert es nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der AG dieser Forderung nachgibt.

- Lohnabrechnung durch elektronischen Abruf

LAG Hamm, Urt. v. 23.09.2021 – 2 Sa 179/21, https://openjur.de/u/2378700.html

Unter Erteilen einer Lohnabrechnung in Textform im Sinne des § 108 GewO ist nicht bereits die bloße Bereitstellung in ein elektronisches Postfach zum Abruf durch ein aktives Tun des Arbeitnehmers, sondern auch deren Zugang bei Arbeitnehmer zu verstehen. Der Arbeitgeber muss daher die Lohnabrechnung so auf den Weg zum Arbeitnehmer bringen, dass sie so in seinen Machtbereich gelangt, dass er unter gewöhnlichen Umständen von der Erklärung Kenntnis nehmen konnte.

- Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

BAG, Urt. v. 29.3.2023 – 5 AZR 255/22 – Pressemitteilung v. 29.3.2023

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des AG entkräftet werden.

- Vorlage eines gefälschten Impfnachweises stellt auch bei neunzehnjähriger Betriebszugehörigkeit einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB dar

LAG Düsseldorf, 7.2.2023 - 8 Sa 326/22, Pressemitteilung v. 7.2.2023

Das LAG Düsseldorf geht davon aus, dass die Vorlage eines gefälschten oder unrichtigen Impfpasseses auch nach bestehender neunzehnjähriger Betriebszugehörigkeit des AN einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt. Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in der Absicht die Nachweispflicht des § 28b Abs. 1 IfSG zu umgehen, stelle eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar, die so schwerwiege, dass sie geeignet sei, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises zeuge von einem hohen Maß krimineller Energie, sodass dadurch das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig gestört werde. Wegen der Schwere des Verstoßes käme es weder auf eine Wiederholungsgefahr noch auf den langjährigen störungsfreien Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Die Fälschung bzw. Unrichtigkeit des Impfnachweise müsse allerdings der AG darlegen und beweisen, um mit seiner Kündigung Erfolg zu haben.

- Urlaubsabgeltungsanspruch unterfällt tariflichen Ausschlussfristen

BAG, Urt. v. 31.1.2023 - 9 AZR 244/20, Pressemitteilung v. 31.1.2023

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann als reiner Geldanspruch nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 6.11.2018 - Rs. C-684/16) und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Senatsrechtsprechung nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils.

- Informationspflicht des Beamten bei Änderungen im Hinblick auf seine Schwerbehinderung

OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.1.2023 - 11 L 2/21

Leitsatz: Der Beamte ist verpflichtet, den Dienstherrn über Änderungen im Hinblick auf seine Schwerbehinderteneigenschaft – wie eine Änderung des festgestellten Grades der Schwerbehinderung – zu informieren, um dementsprechend den mit der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung verbundenen Schutz erlangen zu können.

- Beschränkte Regelungskompetenz des Entleiherbetriebsrats hinsichtlich der Rechte des Verleihers

BAG, Urt. v. 8.11.2022 - 9 AZR 486/21

Leitsatz: Der Entleiher und der bei ihm gebildete Betriebsrat verfügen nicht über die Regelungskompetenz, durch freiwillige Betriebsvereinbarung das Recht des Verleihers einzuschränken, bei ihm angestellte Leihar-beitnehmer aus dem Entleiherbetrieb abzuziehen.

2. Europarecht

- Tägliche Ruhezeit und wöchentliche Ruhezeit sind unabhängig voneinander zu betrachten

EuGH, Urt. v. 2.3.2022 - Rs. C-477/21, Pressemitteilung vom 2.3.2023

Der EuGH hat entschieden, dass die tägliche Ruhezeit zur wöchentlichen Ruhezeit hinzukomme, auch wenn sie dieser unmittelbar vorausgehe. Dies sei auch dann der Fall, wenn die nationalen Rechtsvorschriften dem Arbeitnehmer eine wöchentliche Ruhezeit gewähren, die länger ist als unionsrechtlich vorgegeben. Die tägliche Ruhezeit und die wöchentliche Ruhezeit seien nämlich zwei autonome Rechte mit unterschiedlichen Zielen. Die tägliche Ruhezeit ermögliche es dem Arbeitnehmer, sich für eine bestimmte Anzahl von Stunden aus seiner Arbeitsumgebung zurückzuziehen. Die wöchentliche Ruhezeit hingegen ermögliche es dem Arbeitnehmer, sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen. Folglich sei dem Arbeitnehmer die tatsächliche Inanspruchnahme beider Rechte zu gewährleisten.

3. Prozessrecht

- Sekundäre Darlegungslast des AN im Rahmen der Geltendmachung eines Annahmeverzugslohns

ArbG Stuttgart, Urt. v. 23.2.23 - 25 Ca 956/22

Leitsatz: Macht der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend, trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast. Da der im Hinblick auf § 11 Nr. 1 und 2 KSchG primär darlegungsbelastete Arbeitgeber keine Kenntnis von anrechenbaren Einkünften oder böswillig unterlassenem Zwischenverdienst hat, trifft den Arbeitnehmer die prozessuale Pflicht, sich auf Verlangen des Arbeitgebers zu diesen Punkten zu erklären. Hierzu gehört es auch, zu etwaigen Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit vorzutragen.



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